Skip to content. | Skip to navigation

Personal tools

This is SunRain Plone Theme

Navigation

You are here: Home / Fahrradtouren / Fahrradtour 1997: Nordkap

Fahrradtour 1997: Bern - Nordkap - kurische Nehrung

Wem diese Version meines Reiseberichts zu knapp ist, soll sich mit konkreten Fragen direkt an mich wenden!
Urheberrecht

Nachdruck und Bearbeitung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung!
Thomas Kiser, Sonnhalde 45, CH-3065 Bolligen.

Lesetechnisches

Die (wenigen - und qualitativ nicht überwältigenden) Bilder können während dem Lesen via die grünen Buttons geöffnet werden. Es öffnet sich jeweils ein neues Fenster - der Originaltext bleibt also im Hintergrund offen!

Bilderübersicht

Uebersicht aller Bilder

Druckversion

Drucken via Browser liefert eine lesetaugliche Version ohne Bilder.

Reisebericht

7500 km im Velosattel

Mit dem Fahrrad von Bern ans Nordkap und über Finnland bis in die Baltischen Staaten.

Mit vollbepacktem Drahtesel vier Monate unterwegs. Dabei ergeben sich interessante Begegnungen und eindrückliche Naturerlebnisse. Regentage, Fahrradpannen und andere Tiefpunkte sind schnell wieder vergessen. Einige Eindrücke (nicht nur) aus dem hohen Norden.

Einmal längere Zeit unterwegs sein, sich aus eigener Kraft fortbewegen, Landschaft, Kultur und Leute intensiv kennenlernen: Eine Vision, die ich mir 1997 erfüllte.

Skandinavien mit seiner rauhen Natur, Mitternachtsonne, das Nordkap und Filme des finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki gaben den Entscheid zur Routenwahl. Ausserdem ist das Gebiet rund um die Ostsee aus (polit-)ge-schichtlicher Sicht sehr interessant. Auf der Karte ist die Route ersichtlich. Die genaue Streckenwahl wurde laufend getroffen. Mit mehr Zeit wäre eine Rückkehr über Polen geplant gewesen. Wichtig war mir der Start in Bern, um zunehmends in unbekannteres Gebiet vorzustossen.

Einige Kontakte mit anderen Tourenradlern (teilweise über das Internet) gaben wertvolle Hinweise zu Ausrüstung, Route und Ländern. Obwohl eigentlich bereits vollständig ausgerüstet, ersetzte ich doch manches durch qualitativ besseres Material (Kochausrüstung, Kleider, Zelt,...). Dies hat sich sehr bewährt.
Gegen Mitte Mai war ich endlich startklar und in letzter Minute fand sich sogar noch eine Reisebegleitung bis Norwegen.
So konnten Marcel und ich am 31. Mai 97 in Bolligen starten bild.

Reifenpech bereits nach Burgdorf

Weit kommen wir vorerst nicht: Bereits nach Burgdorf erwische ich hinten meinen ersten Platten. Gepäck abladen, Schlauch wechseln und alles wieder aufladen. Noch geht es aber nicht weiter: Der neue Schlauch platzt mit lautem Knall ebenfalls! Etwas verärgert montiere ich ein neues Felgenband und den zweiten Ersatzschlauch bild .
Trotzdem schaffen wir es am ersten Tag noch über den Oberen Hauenstein bis Basel und über die Grenze nach Deutschland. Nach 130 Kilometer schlagen wir das Zelt bereits im Dunkeln auf.
Die erste Woche radeln wir zügig nordwärts durch Deutschland. Zuerst dem Rhein entlang bis Heidelberg und über den Vogelsberg mit rund 500 Höhenmetern ins Fuldatal. Dort geht es gemütlich zuerst der Fulda, später der Weser entlang. Wir geniessen die ruhigen Radwanderwege, den Rückenwind, die Sonne und die verträumten historischen Städtchen mit Konditoreien und Kaffeestuben.
Pro Tag fahren wir um die 100 Kilometer, wofür wir jeweils knapp fünf Stunden radeln. Start ist meist um neun Uhr und so um fünf oder sechs Uhr abends beenden wir die Etappe.
Nach acht Tagen und den ersten 1000 Kilometer passieren wir die Marktstadt Hameln, wo uns der Rattenfänger samt Kindertross über den Weg läuft bild. Ein erster Ruhetag gibt uns Zeit zum Ausspannen und für die nötige Velopflege (reinigen, kontrollieren, justieren, ölen), Waschen und Materialpflege. Bereits dunkelt es merklich langsamer und später ein.
Durch eine moorähnliche Landschaft gelangen wir an die Elbe und überqueren diese bei Wischhafen. Damit ändert schlagartig auch das Klima und die Landschaft: es wird kühler, feuchter und wir befinden uns nun in einer flachen Marschlandschaft mit strohgedeckten Steinhäusern bild und dem tiefsten Punkt von Deutschland: 3.54 Meter unter Niveau Null bild .
Der Freitag der 13. Juni beschert uns nördlich von Husum ein heftiges Gewitter und mir wassergefüllte Schuhe - das nächste Mal werde ich nebst den Regenhosen auch rechtzeitig die Gamaschen anziehen! Der Abend in Dagebüll auf dem Zeltplatz ist dann aber wieder enorm friedlich und stimmungsvoll. Die Motivation steigt beim Zelebrieren einer Teerunde, zu der uns ein ostfriesisches Ehepaar in ihren Wohnwagen einlädt.
Nach einem Abstecher auf die Watten- und Vogelinsel Amrum passieren wir die Grenze nach Dänemark.

Felgentest in Dänemark

In einer guten Woche bewältigen wir die Strecke nordwärts bis Hirtshals entlang der Westküste. Das Wetter und die Strassenqualität überbieten sich beinahe in der Vielfältigkeit. Von stimmungsvollen und heissen Tagen bis zu sintflutartigen Regengüssen erleben wir alles bild. Und der gut beschilderte Fahrradweg führt nicht nur über asphaltierte Strecken, sondern teilweise über felgenstrapazierende und kaum fahrbare Schotterpisten. Auch bläst häufig ein mörderischer und böiger kalter Gegen- oder Seitenwind, der enorm zu schaffen macht.
Nach 1800 Kilometer in nicht ganz drei Wochen schalten wir einen zweiten Ruhetag ein, der die Kraft- und Motivationsreserven wieder etwas aufstockt.
Nach weiteren 200 Kilometer erreichen wir Hirtshals und erleben am letzten Tag noch echte dänische Gastfreundschaft: Ein älteres Ehepaar bietet uns in Anbetracht des schlechten Wetters ein Gästestudio für symbolische fünf Franken an!

Mitten durch Südnorwegen: rauf und runter

Am 22. Juni setzen wir mit der Fähre nach Kristiansand in Norwegen über.
Nun geht es ziemlich gerade nordwärts durch das Gebirge (Telemark und Hardanger Vidda). Jeden Tag erkämpfen wir um die 1000 Höhenmeter. Entsprechend werden die Tagesdistanzen etwas kürzer. Das Wetter ist ebenso abwechslungsreich wie die Steigungen und die Landschaft. Ab jetzt verbringen wir die Nächte auch meist in der Wildnis und nicht mehr auf Campingplätzen bild. Es zeigt sich, dass das Zelten und Abkochen auch bei Dauerregen möglich ist und wir von festen Unterkünften völlig unabhängig sind...
Bei Eidsfjord lassen wir uns von einer alten Stabkirche (aus der Wikingerzeit) beeindrucken bild und passieren später Rjukan, das im Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle spielte. (Hart umkämpft wegen Produktion von "schwerem Wasser" für den Atombombenbau.)
Wir schlagen die Zelte zunehmends später auf, da die Tage länger werden. Nach fünf Tagen in Norwegen trennen sich unsere Wege bild. Marcel will die Hardanger Vidda näher erkunden.
Allein geht es nun weiter. Ab Geilo folge ich dem "Rallarvegen" (Bauarbeiterweg) entlang der Eisenbahnlinie Oslo-Bergen bild. Dieser führt durch ein prachtvolles unberührtes Hochtal. Leider muss ich für ein Stück den Zug nehmen, da immer mehr Schnee den Weg versperrt. Von Myrdal aus steige ich mit dem Rad nach Flåm hinunter. Ein Abstieg, der mit der Gemmi vergleichbar ist bild. Die mir entgegenkommenden Wanderer reagieren entsprechend: "You're crazy, man!" Bei einsetzendem Dauerregen bleibt nur das Zelten im völlig verlassenen Tal bild. Eine nicht gerade sehr heimelige Situation.
Entspannung gibt der folgende Tag, den ich auf der Fähre auf dem Fjord verbringe. Bis ich einige Tage später die norwegische „Autobahn“ E6 erreiche, stehen mir noch zwei Prüfsteine bevor. Erstens muss ich durch einen sieben Kilometer langen unbeleuchteten Tunnel. Das Veloverbot übersehe ich in Anbetracht fehlender Umfahrungsmöglichkeiten. Die zwanzig langen Minuten in totaler Finsternis - bis das Tunnelende endlich aufleuchtet - sind ein unvergesslich mulmige Erfahrung.
Die Ueberquerung des Sognefjell (1440 m) bild ist die zweite Willensprüfung. Etliche Höhenmeter sind bei dichtem Nebel und kaltem Dauerregen durchzustehen.
Entlang der E6 erreiche ich fünf Tage später Trondheim.

Teurer Fahrradlift in Trondheim

Nach fünf Wochen auf dem Sattel und 3000 Kilometer Weg freue ich mich, eine knappe Woche pausieren zu können. Ich gastiere bei Kjell, einem 21-jährigen Studenten und seinen Eltern, die mich sehr herzlich aufnehmen. Die Einladung erfolgte bereits in der Planungsphase der Tour, als Kjell über das Internet von meinen Plänen erfuhr bild .
Nebst kulturellen Sehenswürdigkeiten bietet Trondheim eine Spezialität für Radfahrer. Mitten in der Stadt steht ein Velolift, der steigungsscheue Radler den Berg hoch zieht. Klar, dass ich das am Tag meiner geplanten Weiterfahrt samt Vollgepäck testen muss! Leider nicht eine sehr gute Idee: das grosse Gewicht ist zuviel für die wohl bereits geschwächte hintere Felge. Das beschert mir einen weiteren Tag in Trondheim und meinem Rad gleich zwei neue Qualitätsfelgen. Sonst hält sich das bereits sechsjährige "Bruce Gordon"-Tourenrad bis anhin problemlos.

(Erster Teilbericht, rev. 03.02.99/Ki)

 

Ergänzung: Mehr als 10 Jahre später habe ich eine Videoaufnahme von meinem "Fahrradlift-Test" gefunden. Viel Spass beim Betrachten der rund 2 Minuten Film! Gegen Ende sieht man schön, wie die hintere Felge wegklappt...

(22.05.2009/Ki)

 

 

Reisebericht - 2. Teil

Abwechslungsreiche Küstenlandschaft Norwegens

Mit zwei neuen Felgen starte ich am 10. Juli nachmittags erneut nordwärts. Nach einigen Kilometern bin ich wieder im gewohnten Tritt und geniesse den "Kick" des Unterwegsseins. Da sich kein geeigneter Uebernachtungsplatz finden will, radle ich Kilometer um Kilometer weiter, immer wieder verfolgt von schweisshungrigen lästigen Fliegenschwärmen. Um 22 Uhr - nach 115 km - erreiche ich Steinkjer und übernachte auf dem Campingplatz.
Die nächsten 10 Tage und rund 900 km radle ich auf dem Kystriksveien 17. Diese Strasse zieht sich entlang der Küste und Fjorde bis Bodø. Im Gegensatz zur wenig interessanten und gefährlichen E6, auf der sich die Touristenmassen Richtung Nordkap quälen, herrscht hier beschauliche Ruhe und Gemütlichkeit.
Ich passiere interessante alte Fischerorte wie Namsos und Rørvik. Das Wetter übernimmt sich fast: teilweise über 40º C an der Sonne und kaum Regentropfen. Zwischendurch klebt der Strassenteer richtig an den Reifen. Es ist auch kaum frisches Wasser zu finden und ich campiere meist auf offiziellen Plätzen. Einmal entpuppt sich ein eingezeichneter Platz als eigentlich schon lange stillgelegt; das ältere Paar lässt mich aber im Garten zelten und ihre Gästetoilette benutzen. Ein Entgelt wollen sie nicht annehmen. Wir können uns nur per Handzeichen verständigen und mit Bleistift und Skizzenblock erkläre ich ihnen so gut als möglich, woher ich komme.
Auf dieser Strecke ereignet sich auch eine der kritischsten Situationen meiner ganzen Tour: auf einer Abfahrt springt eine meiner vorderen Gepäcktaschen aus der Halterung und schleift rund 30 m mit. Ich kann ohne Sturz anhalten. Nicht zu denken, was geschehen wäre, wenn die Tasche bei einer Geschwindigkeit von rund 50 km/h in das Rad geraten wäre! So bleibt der Schrecken und eine ziemlich lädierte Tasche.
Zwei Tage bin ich mit Gerard, einem deutschen Philosophen und Mediziner unterwegs. Gemeinsam besteigen wir den Berg Torghatten. Ein 160 m langer, und rund 20 m breiter natürlicher Tunnel zieht sich durch den ganzen Berg und lässt bei richtiger Standortwahl die Sonne durchscheinen!
In Stokka bei Sandnessjøen liegt einer der schönsten Campingplätze der ganzen Tour: direkt am Meer, viel Platz und einen eindrücklichen Sonnenuntergang hinter einem Felsriff. Ich schalte einen Ruhetag ein, geniesse das Faulenzen und kann kleine Reparaturen und die Wäsche erledigen bild .
Oft muss ich den Tagesablauf anhand der Fahrzeiten der vielen Fähren entlang der RV 17 planen. Gold wert ist dabei eine Infobroschüre über den ganzen Weg. Wo weder eine Fähre noch eine Brücke über einen der vielen Fjorde führt, muss ich stundenlange "Umwege" rund um den Wasserarm machen. Oft erreiche ich mein Tagesziel erst gegen 22 Uhr. Späte Starts am Morgen und Siestas in der grössten Hitze lassen mich dafür die überwältigenden Abendstimmungen geniessen. Diese Gegend ist eine der schönsten auf meiner Tour: kleine Steigungen, abgelegene Täler, bizzarre Küstenabschnitte, atemberaubende Aussichten, kaum Verkehr und eine extreme Ruhe.
Am 19. Juni habe ich über 4000 km zurückgelegt und erreiche Bodø - Ende der RV 17. Mit der Fähre übersetze ich auf die Lofoten.
Auf der Fähre spricht mich Ljubo an. Er ist mit dem Motorrad auf dem Heimweg nach Tromsø. Der gebürtige Slowene lebt seit 15 Jahren in Norwegen und ist Koch. Schnell kommen wir ins Gespräch und er lädt mich ein, ihn in Tromsø zu besuchen. Nach der Ueberfahrt komme ich noch in den Genuss einer Motorradfahrt an die Südspitze der Lofoten ins Dorf Å (Å ist der letzte Buchstaben des norwegischen Alphabets) bild .

Wolken und Lichtspiele auf den Lofoten

Die Lofoten sind eine bekannte Inselgruppe, die sich entlang der Küste von Bodø bis Narvik zieht bild . Aus meinem Tagebuch: "Oft ist es weniger die Aussicht/Landschaft, die so intensiv wirkt. Eher teilweise die extremen Lichtverhältnisse und Nuancenspiele. Aber vor allem ist es der Meeresgeruch und der Wind, sowie die Geräusche. Störten die kreischenden Möven noch vor Tagen, so gehören sie nun untrennbar zur auslaufenden Brandung am steinigen schroffen Ufer... und zum Gesause des Windes, der sich in den Haaren verfängt."
Am 26. Juli habe ich in Narvik mit meinem Freund Johnny abgemacht. Wie es sich zeigt, ist dieses bereits in Bolligen fixierte Datum sehr gut gewählt: Die Strecke bis Narvik lässt sich in knapp einer Woche und 450 km gut bewältigen.
Die Lofoten-Inseln sind meist durch Brücken verbunden, nur noch eine längere Fährenüberfahrt ist zu machen. Zwei Inseln sind sogar durch einen Tunnel verbunden: Zuerst geht es in die Tiefe und dann unter Wasser bis zur nächsten Insel. In der feuchten Röhre wird es mir leicht mulmig!
In Eggum liegt ein schöner wilder Campingplatz direkt an der windig-kühlen Küste. Dahinter steigen die Berge knapp 100 m in die Höhe und sind bereits auf halber Höhe wolkenverhangen bild .
Einen Tag vor dem abgemachten Datum treffe ich in Narvik ein und installiere mich auf dem Campingplatz. Am Samstag kommt Johnny mit dem Zug von Schweden und bringt mir nebst Wanderschuhen, Rucksack und neuen Lowrider-Taschen auch viele Neuigkeiten aus der Heimat.

Zwei Wochen Wanderurlaub

Das Fahrrad gebe ich in einen Generalservice (neue Kette, Reifen,...) in die Werkstatt. Nach einer sonntäglichen kurzen Aufwärmtour auf den Hausberg von Narvik, starten wir am Montag die erste Wochentour bild. Ein plötzlicher Wolkenbruch durchnässt uns leider bereits am zweiten Tag und wir müssen einen Trocknungstag in einer DNT-Hütte (ähnlich SAC) einlegen.
Nachdem bislang meist das tollste Jahrhundertwetter herrschte, erleben wir nun auch Norwegens normale Wetterlage: verhangener Himmel und immer mal wieder etwas Regen. Auch die speziellen Wanderbedingungen, die sich gänzlich vom Unterwegssein in den Schweizer Alpen unterscheiden, fordern uns. Flussdurchwatungen bild , Sumpfgelände und Heerscharen von Mücken sind typische Beispiele. Auch treffen wir nur sehr wenig andere Leute.
Eine Woche später erreichen wir wieder Narvik und beschliessen, die letzten Tage in der Umgebung von Harstad zu verbringen. Die Busfahrt dauert zwei Stunden. Wir logieren auf dem dortigen Campingplatz und besichtigen verschiedene kulturelle Sehenswürdigkeiten. Besonders interessant ist das "Trondenes Historiske Senter" - ein nach modernen museumspädagogischen Grundsätzen errichtetes Zentrum über Norwegens Geschichte. Doch auch die Besichtigung eines deutschen Kanonenstützpunktes aus dem Zweiten Weltkrieg ist aus historischer Sicht wertvoll.

Weiter Nordwärts

Nach zwei Wochen heisst es in Narvik wieder Abschied nehmen. Das Wetter ist dementsprechend: Regen und düstere Stimmung, die mir den Start nicht gerade erleichtern. Johnny fährt zurück in die Schweiz, ich radle im Regen gegen Norden. Nach einer völlig durchnässten Nacht sinkt die Stimmung - Einsamkeit macht mir plötzlich zu schaffen und ich entscheide mich, Ljubo anzurufen und zu sehen, ob seine Einladung noch gilt. Sein "Well man, I yet thought you won't come any more" gibt mir wieder Auftrieb. Trotzdem stellt sich nach 95 km Fahrt im strömenden Regen und ziemlicher Kälte auch mal die Frage nach dem Sinn solcher Ferien. Vor allem, wenn dauernd grosse (gemütlich warme!) Wohnmobile spritzend überholen.
Diese Nacht verbringe ich nochmals auf einem Campingplatz. Eine kleine Hytte bietet Trockenheit und etwas Platz bild .
Am dritten Tag erreiche ich Tromsø, wo mich Ljubo erwartet und - welche Gastfreundschaft! - mir seine Studiowohnung überlässt. Er selber quartiert sich bei einem Freund ein. So kann ich drei Tage lang die Stadt und Umgebung samt vielen kulturellen Sehenswürdigkeiten erkunden und mir Gedanken über die Weiterfahrt machen. Das Wetter ist sehr wechselhaft. Zwei deutsche Radfahrer, denen ich in der Stadt begegne, richten mir zu meiner totalen Verblüffung Grüsse von Marcel aus! Bereits sind mehr als sechs Wochen vergangen seit unserem Abschied in den Bergen Südnorwegens.
Von Beginn weg plante ich, vielleicht einen Teil der norwegischen Küste mit der Hurtigrute (Postschiff-Linie von Bergen bis Kirkenes) zu bewältigen. So entscheide ich mich nun, ein Ticket bis Kirkenes zu lösen. Der Preis ohne Kabine und Verpflegung ist fast geschenkt.

Mit dem Hurtigrute-Schiff bis Kirkenes

Mit dem Luxusschiff "MS Nordkapp" geht meine Reise weiter. Knapp zwei Tage verbringe ich auf dem Meer und geniesse die fantastische und überwältigende Abendstimmung bild , den Blick auf die Küste und die friedvolle, beruhigende Atmosphäre bild. Ich schlafe, wie die Einheimischen, auf den Ledersofas des Salons, was niemanden stört.
Mittags legen wir in Honningsvåg an und ich nehme mit gemischten Gefühlen am Touristenausflug ans Nordkap teil. Wir werden mit Bussen befördert, das Fahrrad bleibt im Schiff. Die Strecke wäre zu weit um wieder rechtzeitig zurückzugelangen. Das Nordkap entpuppt sich als perfekt vermarktete Touristenattraktion. Dank der guten Sicht - eine sehr seltene Situation - lohnt sich der Ausflug trotzdem bild . Mir bleibt aber der Reiz verborgen, der jährlich tausende von motorisierten Urlaubern an den (vermeintlich) nördlichsten Festlandpunkt Europas strömen lässt.
In der zweiten Nacht ist das Meer unruhig und auf dem Schiff befinden sich nebst den Touristen nur noch wenige Einheimische. Ich komme mit Britt, einer jungen Norwegerin, ins Gespräch und erfahre einiges über das Leben in dieser rauhen Gegend.
Am Sonntag 17. August erreicht das Schiff Kirkenes bild. Diese norwegisch-russische Grenzstadt ist der Wendepunkt meiner Reise: hatte ich bis anhin die Sonne im Rücken, werde ich nun südwärts heimzu radeln bild. Fünf Wochen verbleiben mir noch für Lappland, Finnland, Schweden und - vielleicht - die Baltischen Staaten und Polen.

Mehr Bäume und Rentiere als anderes in Finnland

Auf den endlos geraden Hauptstrassen in Lappland sind mehr Rentiere als Autos unterwegs bild . Ich spule Kilometer um Kilometer ab. Langsam nimmt die Vegetation wieder zu: Büsche und später Bäume säumen den Weg. Im Inari-Seengebiet verschonen mich die berüchtigten Riesenmücken, ich muss mich jedoch gegen nicht weniger lästige kleine Beissmücken zur Wehr setzen.
Der Austausch mit Finnen gestaltet sich schwieriger als mit Norwegern. Englisch ist weitaus weniger verbreitet und das Finnische ist nicht mit unseren germanischen oder lateinischen Sprachen verwandt.
Fünf Tage und 550 km nach Kirkenes passiere ich den Polarkreis und pausiere einen Tag in Rovaniemi. Die Grundmüdigkeit und Erschöpfung steigen, eine längere Pause wäre wohl angebracht...
Rovaniemi bietet nebst Bauten des Stararchitekten Alvar Aalto ein sehr interessantes Arktisches Zentrum über Lappland, worin ich einige Stunden verbringe.
Die Strecke von Rovaniemi bis ans Nordufer der Ostsee bei Haparanda (Schwedisch-Finnische Grenzstadt) bewältige ich in einem Tag: Dauerregen lässt mich zügig vorwärtsfahren. Ich mache einen Abstecher nach Schweden, um die Einladung einer Kollegin aus der Nähe von Piteå anzunehmen. Nach zwei Tagen entlang der schwedischen Hauptverkehrsader E4 bin ich bei Malin, wo ich herzlich empfangen und verwöhnt werde. Zusammen mit ihrem Vater machen wir uns auf Elchjagd (mit dem Fotoapparat natürlich!) - leider ohne Erfolg, obwohl wir mit dem VW-Bus über kaum sichtbare Waldpfade die entlegensten Winkel aufstöbern bild .
Mit Malins Hilfe versuche ich erfolglos herauszufinden, ob es eine Fährverbindung von Klaipéda (Litauen) nach Rügen (Deutschland) gibt. Gemäss meiner Planung sollte es mir aber sowieso bis Warschau reichen, von wo ich eine Zugsverbindung heimwärts habe.
Drei Tage später fahre ich weiter, setze mit der Ostsee-Fähre von Umeå nach Vaaså über und radle Richtung Helsinki. Nebst Vegetation und Klima wechselt auch spürbar die Jahreszeit: es dunkelt früher ein und die Nächte werden kühler und feuchter. Deshalb muss ich meinen Tagesrhythmus anpassen und abends wieder rechtzeitig für Unterkunft besorgt sein. Ich ziehe nun auch vermehrt Campingplätze dem Zelten in freier Natur vor: der Komfort und die Beleuchtung werden mir immer wertvoller. Ringsum werden die Kornfelder abgeerntet und ein herbstliches Heimweh macht sich spürbar. Die wenigen Fahrradtouristen, denen ich noch begegne, sind meist am Ende ihres Urlaubs angelangt.
Die gewählte direkte Route nach Helsinki entpuppt sich als relativ hügelig aber gemütlich. Nur der oft starke Gegenwind zehrt an den Kräften. Das Seengebiet um Tampere im südlichen Teil Finnlands tangiere ich nur kurz. In Riihimäki (66 km vor Helsinki) statte ich der berühmten Glashütte einen Besuch ab und bereue, nichts kaufen zu können.

Helsinki: Tor in die Baltischen Staaten

Am 3. September erreiche ich Helsinki und beziehe Quartier in der Jugi im Olympiastadion. Seit Kirkenes sind bereits wieder 1500 km dazugekommen.
Die internationale Gästeschar der Jugi gibt Gelegenheit für Kontakte und Infoaustausch. In der Stadt besorge ich mir Unterlagen über die Baltischen Staaten und das nötige Visum: beides klappt erstaunlich problemlos. Meinen Bart lasse ich beim Frisör stutzen und auch die Haare werden wieder kurzgeschnitten. Die restliche Zeit verbleibt für Stadtbummel und Sightseeing. Helsinki bietet architektonisch einiges: Viele Baurichtungen sind vertreten und ich verbringe Stunden mit fotografieren und betrachten bild .
Nach vier Tagen setze ich am Morgen mit der Fähre nach Estland über und bin Mittags in Tallinn. Ich beziehe Quartier in einem heruntergekommenen Hotel am Stadtrand und teile das Zimmer mit einer Horde Kakerlaken. Der ganze Stadtteil ist ziemlich heruntergekommen und verlassen. Den nächsten Tag plane ich, in Tallinn zu bleiben. Doch am Vormittag treffe ich auf eine Gruppe von fünf Ostberliner Studierenden, die mich "überreden", mich ihnen anzuschliessen. So befinde ich mich wenige Stunden später bereits wieder auf dem Weg. Mit einem Ueberlandbus - vollgestopft mit unserem Gepäck und sechs Rädern (teilweise im Mittelgang des Busses) - fahren wir in die Nähe der russischen Grenze bild . Von Kohtlajärve radeln wir weiter Richtung Süden mit einem Stopp im russisch-orthodoxen Kloster Kuremäe.

Gemütlich mit deutschen Studenten durch Estland

In drei Tagen erreichen wir Tartu, eine alte Universitätsstadt. Die Etappen sind ziemlich gemütlich und ich geniesse es, mit Gleichgesinnten unterwegs zu sein. Eine Nacht verbringen wir in einem Heuschober und lauschen dem Dauerregen, der aufs löchrige Dach prasselt bild.
Die Ostberliner können russisch, was sich in den Baltischen Staaten als sehr hilfreich herausstellt. Ein Austausch mit der ländlichen Bevölkerung wäre sonst nicht möglich.
Weitere fünf Tagesetappen brauchen wir bis Riga. Wir passieren die Grenze nach Lettland und das Nationalparkgebiet um Césis. Das Wetter ist ziemlich unbeständig und wir übernachten wechselnd im Zelt bild oder in billigen Hotels.
Einen Tag verbleiben wir in Riga und ich plane meine restliche Zeit neu, denn gemäss dem alten Fahrplan wäre ich jetzt schon in Polen. Ich kläre die Ostsee-Ueberfahrt von Klaipéda nach Rügen (Deutschland) nochmals ab und kann einen Platz auf der Frachtfähre reservieren. Meine Stimmung ist ziemlich mies und gedrückt. Das nahe Ende meiner Reisezeit und die Ungewissheit, wie ich mich Zuhause wieder einleben werde, beschäftigen mich.
Die fünf Ostberliner wollen mit dem Bus weiter nach Klaipéda und wir verabschieden uns (vorläufig). Ein mörderischer Gegenwind macht die zwei nächsten Tage zur Tortur bild . Seit einigen Tagen bin ich zudem leicht krank und fiebrig. So bin ich froh über die 30 km, die ich im Windschatten eines Traktors hinter mich bringen kann! Die Grenzüberquerung nach Litauen gestaltet sich zu einer belustigenden Bürokratieübung: drei Stempel in verschiedenen Gebäuden sind einzuholen.
In Siauliai (Schaulein) bild entscheide ich mich nach einer Nacht in der Jugendherberge, die restlichen 150 km bis Klaipéda mit dem Bus zu fahren. Mich plagt starker Durchfall.
Den so gewonnenen Tag will ich auf der Kurischen Nehrung verbringen. Diese einzigartige Landzunge vor der Küste Klaipédas wird auch "Wüste des Nordens" genannt, weil sie - knapp 100 km lang und bis zu 4 km breit - fast nur aus Sand besteht bild.

Sandiger Abschied in der Kurischen Nehrung

Die Nacht verbringe ich in einer Pension und bin am Morgen endlich wieder fit. Zusammen mit den Ostberlinern, die ich zufällig wieder treffe, erkunde ich die Umgebung und vor allem die faszinierende, wandernde Sanddüne bild, die an der Grenze gegen Kaliningrad liegt bild . Gegen Abend verabschieden wir uns und ich kehre nach Klaipéda zurück.
Am nächsten Tag fährt mein Schiff nach Rügen. Nach einigem Suchen und mühsamen Durchfragen im Frachthafen finde ich es auch endlich. Da ich noch kein Ticket, sondern nur eine Reservationsbestätigung besitze, gestaltet sich das Zollprozedere und der Weg auf die Frachtfähre als verhandlungsintensive Uebung. Schliesslich läuft das Schiff am Abend mit fünf Stunden Verspätung aus und nimmt Kurs über die Ostsee nach Rügen, wo wir am nächsten Mittag eintreffen. Ich radle nach Binz, einem Badeort mit DDR-Vergangenheit. Der direkte Zug nach Basel fährt um 18 Uhr. Da ich nicht weiss, wieviel das im Zug zu lösende Ticket kosten wird, besorge ich genügend DM und Verpflegung. 215 DM kostet dann das Ticket, ganze 214 DM trage ich noch auf mir... Die fehlende Mark erhalte ich aber geschenkt.
Am Dienstag 23. September um 11 Uhr treffe ich in Basel ein. Die restlichen 120 km über den Unteren Hauenstein, Langenthal und Burgdorf bis Zuhause mache ich mit links in 5 ½ Stunden.
So treffe ich gegen Abend in Bolligen ein bild. Hinter mir liegen 7372 km geradelter Weg, 16 ½ Wochen Reise, 10 interessante und abwechslungsreiche Länder und eine Unzahl von unvergesslichen und eindrücklichen Erlebnissen bild.

(Zweiter Teilbericht, 03.04.99/Ki)

 

 

Infokasten:

Heisshunger

Den ganzen Tag unterwegs und in Bewegung sein. Das gibt mit der Zeit eine ziemliche Kondition. Vor allem verbraucht der Körper viel mehr Energie. Deshalb ass ich zwischendurch immer wieder eine Kleinigkeit. Dazu gehörten Früchte, Schokolade, Haferkekse, (Rentier-)Wurst,...
Auch die Hauptmahlzeiten sind wichtig. Zum Frühstück meist eine grosse Portion Müesli mit Trockenmilch, Pick-nick tagsüber und abends nach dem Aufbau des Zeltes wurde fast immer gekocht. Dabei „verdrückte“ ich problemlos die zwei- bis dreifache Menge als sonst. Oft trank ich zuerst eine heisse Bouillon um den Salzverlust zu kompensieren. Typische Gerichte waren Eintöpfe, Teigwaren, Reis, Cous-Cous und Polenta. Etwas Süsses zum Nachtisch und Kaffee durften jeweils nicht fehlen!
Zu trinken hatte ich tagsüber viel Wasser (2-4 Liter). In Deutschland und Dänemark ab der Leitung und in Norwegen aus Flüssen. Morgens und Abends kochte ich mir Tee.

Ein einmaliges Erlebnis?

Hoffentlich nicht - obwohl die familiären, persönlichen und beruflichen Voraussetzungen meist gegen lange Reiseprojekte sprechen. Das grosse Ziehen in den Oberschenkeln und vor allem auch im Kopf ist aber bereits wieder da...
Es braucht weder grosse konditionelle Voraussetzungen noch spezielle Survival-Kenntnisse. Beides ergibt sich unterwegs. Sicher wichtig ist eine angepasste und funktionstüchtige Ausrüstung. Qualitätsware bewährt sich und macht sich bei längerem Gebrauch bezahlt. Es ist aber nicht nötig, Tausende von Franken zu investieren. Das Wichtigste ist und bleibt der Wille und die Einstellung "just do it"! Ich kenne Leute, die ähnliches noch mit 70 Jahren gemacht haben, ohne High-Tech-Ausrüstung...

Fahrrad, Ausrüstung und Kartenmaterial

Wer Interesse an diesen Themen hat, soll doch mal in meine Homepage schauen, oder direkt Kontakt aufnehmen. Das Gebiet ist zu umfangreich, um hier darauf eingehen zu können. Als Stichworte: In Skandinavien reichen Karten mit grossen Massstäben: 1:1 Mio ist oft genügend. Und in Norwegen kann zum Notfall auch mit einer 1:400'000 Karte gewandert werden!

Mehr Bilder? Fragen?

Unter http://www.tomK.ch ist dieser Reisebericht online zugänglich. Dort sind auch mehr Bilder abrufbar. Fragen und Bemerkungen sind willkommen!

(c) 2000 >> Thomas Kiser / tomK, last update: 2010-06-16 (neue Postadresse)